Ein ganz normaler Tag
im November 2002

Morgens, 04:30 Uhr. Ein tonnenschwerer Amboß regnet ohne Vorwarnung auf mich hernieder, landet gezielt in meiner Magengrube und reißt mich unsanft aus der Träume Nirwana. UFF!!!!! AUA!!!!! Deep Impact!!!!! Der Amboß schnurrt mich selig an, gibt Köpfchen und entpuppt sich bei näherer Betrachtung als meine kleine, bunte "Tigerine" Patch. Wie beinahe jeden Morgen nach einer solcher Attacke beschäftigt mich dieses unglaubliche physikalische Phänomen, wie eine dermaßen kleine und zierliche Katze von nur gerade mal drei Kilo Körpergewicht sich beim morgendlichen Ansprung ganz real so anfühlen kann, als würde man von einem kompletten LKW-Zug überrollt. Aber ich komme niemals wirklich weit mit diesen Überlegungen, weil Patch - noch immer wohlig schnurrend, versteht sich! - mit intensivem Treteln auf meiner vollen Blase beginnt. Das hält man nicht lange aus, das ist FOOOOOLTER!!!! Ich stürze also eiligst aus dem Bett in Richtung Toilette, dabei überholt mich der Tiger natürlich auf halber Strecke und findet das morgendliche Wettrennen ungeheuer komisch, zumal der Überholvorgang selbstverständlich nicht straßenverkehrstechnisch korrekt an meiner linken Seite vorbei, sondern mitten durch meine Beine verläuft, was prompt ein paar ballettechnisch hochinteressante Pirouetten meinerseits zur Folge hat. Während ich dann mit schlappem Kreislauf ("Hält mal bitte jemand das Badezimmer an?! Dankeschön!") und Augen, die sich dem Öffnen durch morgendlich-temporäre Bleieinlage massiv widersetzen, endlich das rettende Toi erreiche, springt der Tiger elegant in's Waschbecken, rollt sich dort zusammen und möchte beschmust werden. Dabei kommen wir also gleich zum nächsten physikalischen Experiment (oder mathematischem Problem, wie auch immer): der Abstand von Toilette bis Mitte des Waschbeckens beträgt ca. 1 Meter. Meine Armlänge beträgt dagegen nur ca. 72 cm, und das ist immerhin bis zur Spitze des Mittelfingers gerechnet. Wie soll man also, bitteschön, gleichzeitig das verrichten, was man auf der Toilette so zu tun pflegt, und gleichzeitig liebevoll die Katze kraulen, ohne daß es ein Unglück gibt oder meine kaputten Bandscheiben maulen?! Morgens bin ich sowieso steif wie ein Brett, und jeder einzelne Knochen tut mir weh. Aber irgendwie schaffen wir diese Badezimmeraktion zur beiderseitigen Zufriedenheit, und ich wandere schließlich zurück in's Bett: ich habe ja noch Zeit. Denn da ich momentan ohne Job bin, kann ich mir den Luxus erlauben, auszuschlafen. Ja, ich gebe zu, daß ich auch absolut kein Morgenmensch bin. Das war ich noch nie, im Gegensatz zu meiner Mutter, die, obwohl Rentnerin, bereits morgens um 06:00 Uhr immer auf ist und nach eigenen Angaben zu dieser unchristlichen Uhrzeit sogar schon singen könnte! Mir unverständlich! Und ihr wiederum ist es dafür völlig unverständlich, daß der Rest der Familie generell morgenmuffelt und nur mit einem Kran oder Flaschenzug aus dem Bett geholt werden kann.

Ein paar Stunden später, meist so gegen 09:30 Uhr, robbe ich mich dann erneut aus dem Bett. Nein, nein, wach bin ich schon länger. Aber aufgrund meines niedrigen Blutdrucks bleibe ich lieber noch ein bißchen liegen, als mich womöglich plötzlich und unsanft auf dem Fußboden wiederzufinden! Das kenn' ich nämlich schon, das tut weh! Also lieber gemächlich angehen lassen und dann aus meiner Kellerwohnung (naja - der Angeber sagt wohl "Souterrain" dazu) nach oben staksen und mir eine Tasse Kaffee aus der Küche holen. Zum Kaffee auch gleich erster Lagebericht von Oma. Die war um die Zeit bereits meist schon einkaufen, hat auch schon die Zeitung gelesen und versorgt mich gleich mit den neusten Nachrichten aus Weltgeschichte und Nachbarschaft sowie den Arbeitsplänen für den Tag. Katze Nummer zwo, unser Flöckchen (die sich im übrigen inzwischen zu einer ziemlichen Schneekugel ausgewachsen hat) liegt ihr dabei auf dem Schoß und begrüßt mich mit freudig gurrendem Gru-Gru-Gru. Flöckchen ist nämlich zu Omas Katze geworden, seit wir hier alle zusammen wohnen, und folgt ihr auf Schritt und Tritt. Wir anderen Familienmitglieder dagegen sind bei ihr jetzt verhältnismäßig abgemeldet.

Der Kaffeebecher ist gerade erst zur Hälfte geleert, da kriegen wir schon den ersten Mäuse-Alarm des Tages! Patch ist eine sehr gute Jägerin, und in unserer Vorortsiedlung mit Baumschulen, Grünstreifen und großen Gärten findet sie natürlich ein ideales Jagdrevier! Man kennt das ja nun: Katzen bringen ihren zweibeinigen Dosenöffnern gerne reichlich Geschenke mit, die allerdings nicht immer unbedingt den Geschmack der Adressaten treffen. Doch meist sind diese Geschenke wenigstens schon waidgerecht erlegt und müssen dann nur noch entsorgt werden. Nicht so bei Patch! Die zieht es meist vor, uns lebende Beute zu präsentieren. Dazu kommt sie in einer affenartigen Geschwindigkeit und einer betont auffällig-unauffälligen Körperhaltung in's Haus geschossen, läßt etwas fallen (was rennt und piepst und sich zumeist als Maus identifizieren läßt) und schlägt solange lautstark Alarm, bis auch wirklich alle gucken kommen. Geschickt macht sie uns dann vor, wie man Mäuse meterweit durch den Flur kegeln kann, und dann erwartet sie von uns, daß wir es ihr gleichtun sollen. Stolz wie Oskar sitzt sie daneben und feixt, wenn wir auf allen Vieren über den Fußboden krabbeln, um die arme gequälte Maus einzufangen. Patch führt übrigens Statistik darüber und hat inzwischen folgendes herausgefunden:

Oma fleucht bei Mäusealarm immer durch's Haus, schließt alle Türen zu anderen Räumlichkeiten als Flur und Küche bzw. Terrasse, in der Hoffnung, daß die Maus sich nicht irgendwo verkriecht und unser Zuhause dauerhaft auch zu dem ihrigen erklärt. Dabei ruft sie nach anderen Mitgliedern der Familie, die den Rest erledigen soll, weil beweglicher als sie selbst. Tini fleucht bei solchen Gelegenheiten auch durch's Gelände, vielleicht sogar noch etwas hektischer als Oma, und räsoniert dabei lautstark über die Folgen, die Mäusenester in Computern haben und schiebt grenzenlose Panik, daß sich das Nagetier an unserem Netzwerk vergreifen könnte. Ihr Freund André ist dagegen der absolute Meister in weiten Hechtsprüngen mit Bauchlandung! Jeder Fußballnationaltorwart würde vor Neid erblassen, wenn er diese Haltungsnoten sieht, mit der André zielgenau auf Katze und/oder Maus zuspringt und meistens dann auch sofort fängt. Zartfühlend geht er dabei nicht unbedingt vor, aber dafür zu 100% effizient! Mein Freund Romke (falls gerade mal anwesend, was nicht so oft der Fall ist, da er in den Niederlanden lebt) ist dagegen die Behutsamkeit in Person: er schleicht sich dermaßen langsam und zärtlich an, daß die gefangenen Mäuse ihn nichtmal beißen, und mit bloßen Händen bringt er sie dann liebevoll nach draußen, ohne daß Mann und Maus Schaden davontragen. Und ich? Nun...... Romkes Methode ist mir zu risikoreich, da ich schon einmal eine Maus in der Fingerkuppe hängen hatte. Das schmerzt doch erheblich, und ich lege keinen gesteigerten Wert auf eine Wiederholung dieser Erfahrung. Zu Andrés sportlichen Höchstleistungen bin ich aufgrund diverser Zipperlein rein körperlich längst schon nicht mehr in der Lage. Also habe ich im Laufe der Zeit meine eigene Technik entwickelt: ich werfe ganz einfach das Handtuch! Nein, nicht SOOOOO - sondern wörtlich!!! Und ich treffe gut. Mitsamt dem Handtuch, das sich im Fallen sanft über die verängstigte Maus gelegt hat, sammle ich den Nager auf, schütze damit meine Fingerkuppen vor Panikbissen, und kann das Tier nach draußen bringen. Ganz einfach.

Solch ein Mäusealarm kann sich übrigens zu Spitzenzeiten mehrfach am Tag wiederholen. Kein Mensch braucht ein teures Fitness-Studio, wenn er freilaufende Katzen hat! So spart man Geld. ;-)

Gartenarbeit ist angesagt. Laub wird zusammengekehrt, Tulpenzwiebeln müssen gesetzt werden. Immer "mittemang" natürlich die kleinen Fellterroristen! Flöckchen jagt dabei die Blätter und behindert die Reinigungsarbeiten. Als wäre das nicht auch schon ohne ihre Mithilfe mühsam genug, denn wir im Norden haben ja meistens Nordwestwind, und unser Haus steht echt günstig als Bollwerk und Sammelplatz zur Verfügung: viele Nachbarn um uns herum haben mit Laub relativ wenig zu kämpfen, da der Wind ihre Grundstücke effektvoll freipustet... und bei uns auf der Auffahrt sammelt sich dann der ganze Schamott und tanzt ein herbstliches Ballett. Hat man dann gegen den Wind endlich einen kleineren Laubhaufen zusammengekehrt und greift nach dem Eimer, um den Krempel einzusammeln, kommt von hinten ein weißer, pelziger Blitz und springt mitten rein in den Haufen.... und gleichzeitig kommt eine erneute Windböe..... den Rest kann man sich denken. Eine never ending story! Der Katzen Freud', der Hausherr'n Leid. Doch auch im hinteren Teil des Gartens geht nicht alles glatt. Patch, unser kleiner Maulwurf, gräbt gern hinter einem her und buddelt alle Tulpenzwiebeln wieder aus, die man gerade mühsam gesetzt hat. Außerdem prüft die Tigerine unglaublich gern den Sitz von Pflanzen in der Erde auf ihre Stabilität, indem sie sie anspringt, umarmt und kräftig daran herumrüttelt. Auf dem Beet mit der Katzenminze sind dann dafür alle beiden Miezen gleichzeitig zu finden: sie wollen helfen und spielen tatkräftig Gartenwalze. Dabei hilft dann auch gelegentlich gern unser Nachbarkater Struppi mit, der mit Flöckchen eng befreundet ist und öfters mal auf Besuch kommt.

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Nachmittag, 16:00 Uhr. André kommt von der Umschulung nach Hause. Tini, mit ihrem dusseligen Stundenplan der zur Zeit 12. Klasse Gymnasium gestraft, erscheint meist erst eine Stunde später. Gemeinsames Mittagessen findet somit in den seltensten Fällen statt, weil jeder unterschiedlich lange außer Haus ist. Gegessen wird zwischen Tür und Angel, je nach Laune. Das sehen die Katzen genauso. Vor allem Flöckchen findet, daß sie grundsätzlich dann Laune zum Essen hat, wenn eine x-beliebige Person die Küche betritt, und sei es nur, um abzuwaschen. Lautstark verkündet sie eindrucksvoll, daß sie innerhalb der nächsten zwei Sekunden dem grausamen Hungertod anheimfallen wird, wenn man ihr nicht SOFORT etwas Leckeres serviert. Meist hilft dann schon Bestechung mit einer Fingerspitze voll Käsecreme, um sie zu besänftigen, aber nicht immer. Aber ich kann nur warnen: fällt man nämlich auf das Geschrei herein und macht eine Dose auf, dann ist sofort Ruhe - und die Katze verschwunden! Hunger hat sie nämlich nicht, nein, sie will nur testen, ob wir auch gut erzogene Hausdiener Ihrer pelzigen Majestät sind....

Die jährliche Impfung steht an. Also müssen die lieben Katzen eingefangen und zum Tierarzt verfrachtet werden. Das ist jedes Mal ein echtes Drama! Letztes Jahr haben wir zu dritt (!) schon 20 Minuten gebraucht, um Flöckchen in den Transportkorb zu kriegen, und danach sahen wir alle ziemlich zerledert aus. Dieses Jahr bietet sich André großspurig an, das Problem ganz allein zu erledigen. Na, bittesehr! Soll er doch! Er holt die Transportkörbe leise und heimlich aus dem Keller und greift sich Flöckchen, die ahnungslos auf dem Sofa liegt. Das Drama nimmt seinen Lauf! Flöckchen wehrt sich mit allem, was ihr zur Verfügung steht, und schreit ihre Empörung lautstark und in tiefstem Bass heraus. Patch sucht beim ersten Ton das Weite - wie ein geölter Blitz ab durch die Katzenklappe. André, Flöckchen und Katzenkorb sind inzwischen ein einziges Knäuel, das unkontrolliert über den Boden kullert - keine Wrestlingmeisterschaft könnte spannender sein! Doch André gewinnt letztlich; das weiße Ungetüm sitzt im Korb. Andrè rennt nun noch planlos auf Strumpfsocken in den Garten, um Patch zu finden. Aber die ist natürlich längst über alle Berge und dreht ihm eine lange Nase. Flöckchen wird derweil endgültig zum Blizzard und randaliert dermaßen im Korb herum, daß dessen Weidenzweige nur so krachen! Sie schreit und tobt dermaßen, daß ich schon langsam Sorge hege, sie könnte gleich einen Herzkasper kriegen. Und weil Patch sich in Sicherheit gebracht hat und so bald sicher auch nicht wiederkommt, fahren Romke und ich also erstmal mit Flöckchen allein los. Unsere Tierärztin wohnt nur zwei läppische Straßen weiter, aber als wir dort ankommen, ist Flöckchen bereits restlos erschöpft und liegt krampfhaft zusammengekauert, hechelnd und komplett apathisch im Korb. Erst wollte sie nicht rein, nun nicht mehr raus. Die ganze Prozedur dauert nur 10 Minuten, danach können wir wieder nach Hause. Romke fragt sich noch immer staunend, warum Flöckchen so ein Drama draus macht, denn bei der Impfspritze selbst hat sie nichtmal gezuckt - so weh kann das also doch gar nicht tun! Warum, so grübelt er vor sich hin, hat die Katze dann solch eine Angst vor dem Tierarzt?! Aber der nüchterne Herr Wissenschaftler findet einfach keine zureichende Erklärung. Wieder zuhause angekommen wird Flöckchen erstmal zurück in die Freiheit entlassen. Beleidigt stapft sie von dannen und guckt uns alle nicht mehr an. Scheiß Menschen!!!!! Denen kann man nicht vertrauen!!!! In diesem Moment kommt aber Patch wieder angekrümelt und schaut vorsichtig nach, ob die Luft wieder rein ist. Sie sieht uns alle um den Kaffeetisch versammelt und denkt natürlich, der Spuk wäre vorbei. Denkste! Ein Griff von André, und auch Patch wird im Korb verpackt. Das geht zwar schneller als bei Flöckchen, aber das Geschrei fängt von vorne an. Flöckchen hat eine Bass-Stimme, Patch dagegen Koloratursopran (von uns auch liebevoll "Nebelhorn" genannt)! Ich weiß nicht, welche der Katzen schlimmer für die Gehörgänge ist. Romke und ich also wieder zum Tierarzt, dasselbe Spiel, zweite Runde. Die Tigerine tremoliert, kotzt vor Angst und will partout nicht aus dem Korb heraus. Nützt aber nix, die Untersuchung und Impfung werden vorgenommen, es wird sogar mittels zweier schneller und geschickter Handgriffe von Frau Doktor Patch's Zahnstein entfernt (wieso Vollnarkose und so ein Gedöns, wenn es auch einfach per Daumennagel in Sekundenschnelle geht, da Patch nicht beißt?!). Danach die beruhigende Mitteilung, daß unsere beiden Katzen kerngesund sind. Alles in Ordnung. Der Mann an meiner Seite reagiert allerdings kurz darauf noch etwas grantig, weil ich mit einem grinsenden Seitenblick auf ihn zur Tierärztin sage: "Frau Doktor, ich hätte hier noch einen liebeskranken Kater. Kann man da was gegen tun?" Und die lacht natürlich genauso wie ich! Sorry, Liebling, das war ein Frauenwitz. Da muß man(n) eben durch! Und nun weiß der Monsieur vermutlich auch ganz genau, was Katzen befürchten, die zum Tierarzt müssen, und warum sie Panik schieben. Oder?! *ggg*

Nun ist es Abend. Die Katzen liegen beide beleidigt in der Ecke und würdigen uns keines Blickes mehr. Anfassen? Nein, verboten! Füttern? Naja, das geht gerade eben so. Aber ich weiß eines ganz genau: morgen früh um 04:30 Uhr ist sowieso wieder alles vergessen, und mein kleiner Tigerinen-Amboß namens Patch wird auf's Neue in meiner Magengrube landen, als sei niemals was gewesen....

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